Nicht
schlimm
Das macht nichts, ist nicht schlimm. Die kleine Schramme - tut nicht weh.
Dieser blaue Fleck hier? Hingefallen, merkt sie kaum noch. Sie ist so
ein Tolpatsch, immer stößt sie sich irgendwo, immer lässt
sie Gläser fallen und schneidet sich an den Scherben. Am Rücken?
Das ist vielleicht eine Geschichte, fast schon komisch, fast schon peinlich,
ja.
Tee wollte sie sich machen, und die Kanne ist zersprungen als sie sie
hochhob - daher auch der Verband auf der linken Hand - und sie rutschte
aus und landete auf den Scherben, und da haben sich dann einpaar davon
in ihren Rücken gebohrt, es geht jetzt wieder. Ist nicht schlimm.
Und wie sie sich geärgert hat, weil die neue Bluse hin war, die neue
Bluse, die sie so schön fand und sie kauft ja nicht oft etwas für
sich, muss auch nicht, aber diese Bluse, die wollte sie so gern haben.
Und dann musste sie sie wegschmeißen. Dietrich? Der hat sich Sorgen
gemacht, natürlich. Immer sagt er ihr, sie solle aufpassen. Manchmal
lacht er über sie, aber sie lacht ja auch, ist ja auch komisch so
ein Tolpatsch. Da lacht man manchmal Tränen.
Als sie klein war, war das schon so. Zehnmal ist sie die Treppe runter
gefallen, und gegen die Tür ist sie auch oft gelaufen und am Herd
hat sie sich verbrannt, so ein unvorsichtiges Kind. Gebrochene Hand, gebrochene
Rippen, blaue Augen, blaue Beine, blauer Rücken. Ihre Mutter hatte
sich Sorgen gemacht, natürlich. Und der Vater, der hatte manchmal
gelacht - wie soll man auch anders. "Du hast blaues Blut" sagte
er und lachte. Er war ein guter Mann, natürlich, ein starker Mann,
ein Mann war er, und leicht hatte er es nicht, nein. Und sie machte immer
wieder etwas falsch, ja, viel Kummer hatte sie ihm bereitet, aber er hat
sich um sie gekümmert, das hat er, so gut er konnte, so wie sich
sein Vater um ihn gekümmert hat. Wie es seit Generationen in der
Familie war, wie es eben so ist. Familie ist wichtig, ja. Kinder? Nein,
eher nicht, nein, sie will selbst keine Kinder haben, nein, lieber nicht,
sie ist doch so ein Tolpatsch... sie könnte das Kind fallen lassen.
Und arbeiten muss sie doch auch. In der Kneipe drüben, da arbeitet
sie, was kann man da sagen...die Arbeit ist nicht schlimm, nein. Jeder
will doch mal was trinken, sagt Dietrich immer, da ist das doch gut, so
eine Arbeit und immer etwas los, jeder trinkt doch mal. Sie selbst nicht,
nein, wenn man den ganzen Tag Leuten zu trinken gibt, da hat man doch
genug davon, wie wenn man in einer Schokoladefabrik arbeitet, da will
man später bestimmt auch keine Schokolade mehr. Jetzt muss sie aber
kochen, Dietrich kommt bald heim, da muss er was Warmes auf dem Teller
haben, ist ja auch wichtig so eine warme Mahlzeit. Und aufpassen muss
sie, damit sie nicht wieder etwas falsch macht, damit sie nicht wieder
stolpert und sich an der Tischkante stößt oder den Arm gegen
die heiße Herdplatte lehnt. Konzentrieren muss sie sich, kochen
wenn sie kocht und zuhören, wenn Dietrich etwas sagt, der sagt ja
manchmal so wichtige Sachen, da muss sie zuhören, lernen muss sie.
Lernen ist wichtig, ja.
Und nächste Woche ist ihr Geburtstag, da würde sie gern zum
Frisör gehen, sich etwas hübsch machen, die Haare sehen ja nach
nichts aus, aber sie weiß noch nicht. Dietrich gefällt sie
so wie sie ist, das ist doch schön, wenn man einem so gefällt,
wie man ist, ja. Und eine neue Bluse würde sie sich gern kaufen,
aber dann geht die vielleicht auch wieder kaputt, schade um das Geld ist
es dann. Dietrich will ein paar Freunde einladen, zu ihrem Geburtstag,
das wird bestimmt lustig, vielleicht kommt auch eine der Frauen, die sie
kennt, dann hat sie Hilfe und wird bestimmt nicht stolpern. Vor einem
Jahr hat sie ihren Geburtstag woanders verbracht, Urlaub hatte sie, könnte
man sagen, hat sich etwas ausgeruht, hat Dietrich ihr geschenkt, den Urlaub,
wie nett das von ihm war. Aber Dietrich ist nicht gern allein, er ist
immer froh, wenn sie wieder zuhause ist, wenn er ihr etwas beibringen
kann, wenn er ihr sagen kann, dass er sie so mag, wie sie ist. Wie sie
schon immer war, wie es seit Generationen in der Familie war, wie es eben
so ist. Manche Dinge ändern sich nie, das ist doch nicht schlimm,
nein. Ist nicht schlimm.
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